Vereinigte Staaten von Amerika: Die innere Entwicklung von Roosevelt bis Clinton

Vereinigte Staaten von Amerika: Die innere Entwicklung von Roosevelt bis Clinton
Vereinigte Staaten von Amerika: Die innere Entwicklung von Roosevelt bis Clinton
 
Die USA unter Roosevelt und Truman
 
Die Regierungszeit Franklin D. Roosevelts war in vieler Hinsicht beispiellos: Als einziger Präsident der USA wurde »FDR« von den Wählern dreimal im Amt bestätigt (1936, 1940, 1944), und wie keiner seiner Vorgänger sah er sich in rascher Folge einer schweren inneren Krise, der Großen Depression, und einer weltweiten militärischen Bedrohung gegenüber. Weil er beide Herausforderungen erfolgreich meisterte, nahmen ihn seine Landsleute symbolisch in den Pantheon der großen Führungspersönlichkeiten neben George Washington und Abraham Lincoln auf. In der verfassungsmäßigen Beschränkung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten, die 1951 durch den 22. Verfassungszusatz erfolgte, kam allerdings auch der Wunsch zum Ausdruck, dass Roosevelts Machtfülle eine Ausnahme bleiben möge und die USA an ihrer Tradition der »Herrschaft auf Zeit« festhalten sollten. Tatsächlich hatten sich Staat und Gesellschaft unter dem Druck von Wirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg erheblich verändert und waren durch Zentralisierung, Bürokratisierung und Militarisierung den europäischen Systemen ähnlicher geworden. Roosevelts New Deal, der die Anfänge eines amerikanischen Sozialstaats schuf, und die Kriegsmobilisierung, die eine spezifische Form des korporativen Miteinanders von Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften hervorbrachte, stellten die Weichen für die Entwicklung einer modernen Demokratie in den USA. In der Spannung zwischen den traditionellen Werten und Prinzipien der Verfassungsväter und den Zwängen des global verantwortlichen Industrie- und Machtstaats suchen die Amerikaner seither den inneren und äußeren Kurs ihres Landes zu bestimmen. Dabei dominierte bis Ende der Sechzigerjahre eine liberale Strömung, die der sozialen Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wollte.
 
Die »Heimatfront« im Zweiten Weltkrieg
 
Nach dem innenpolitischen Streit der späten Dreißigerjahre wirkte der Krieg wieder solidarisierend, weckte den Patriotismus und schweißte die Nation zusammen. Anders als 1917 bedurfte es keiner harten repressiven Maßnahmen gegen Kriegsgegner im Innern, da der Schock von Pearl Harbor jede Opposition verstummen ließ. Eine Ausnahme bildete die Internierung der an der Westküste lebenden Amerikaner japanischer Abstammung in Lagern im Landesinneren, die ebenso unangemessen wie verfassungswidrig war. Es sollte allerdings fast 50 Jahre dauern, bis sich die amerikanische Regierung für dieses rassisch motivierte Unrecht entschuldigte und den noch lebenden Betroffenen materielle Entschädigung gewährte. Übergriffe gegen Deutsch- oder Italoamerikaner blieben dagegen fast ganz aus, obwohl sie, wie auch die Emigranten, die vor dem Nationalsozialismus oder Faschismus geflohen waren, als potenzielle Saboteure oder Spione vom Geheimdienst überwacht wurden.
 
Wie Präsident Roosevelt Ende 1940 versprochen hatte, wurden die USA im Krieg zum »Arsenal der Demokratie«. Die gewaltigen Ressourcen des Landes konnten schnell mobilisiert werden, weil aufgrund der Wirtschaftskrise noch viele Kapazitäten brachlagen. Bis 1945 dienten über 16 Millionen Amerikaner in den Streitkräften, und die frei werdenden oder in der Rüstungsindustrie neu geschaffenen Arbeitsplätze wurden von ehemaligen Arbeitslosen und von Afroamerikanern aus dem Süden, zunehmend aber auch von Frauen eingenommen. 1942 vollzog die Volkswirtschaft den Übergang zu einem sich selbst tragenden Aufschwung mit Vollbeschäftigung und steigenden Löhnen. Die Gesamtkosten des Kriegs von 370 Milliarden Dollar wurden überwiegend durch den Verkauf von Kriegsanleihen aufgebracht, wobei die Staatsverschuldung durch das starke Wachstum des Bruttosozialprodukts jedoch relativ gering blieb. Die Kritik am Bigbusiness, die in der Endphase des New Deal wieder lauter geworden war, machte nun einem liberalen Korporatismus Platz, bei dem sich die Regierung auf eine indirekte Lenkung der Wirtschaft beschränkte. Durch die enge Kooperation von Regierung und Rüstungsunternehmen begann eine Symbiose, die Präsident Eisenhower später mit kritischem Unterton als militärisch-industriellen Komplex charakterisierte. Die Entwicklung Kaliforniens zum Hightechstandort geht auf den Zweiten Weltkrieg zurück, der dem Westen der USA einen Innovationsschub verlieh. Auch die Hauptstadt Washington wachte aus ihrem Dornröschenschlaf auf: Sie musste nicht nur das Wachstum der Zivil- und Militärbürokratie verkraften, sondern zog auch viele Produktionsbetriebe, Firmenhauptquartiere und Lobbyisten jeglicher Couleur an.
 
Fortdauer der Machtfülle des Präsidenten
 
Von den großen Siegermächten gingen die USA als einziges Land wirtschaftlich gestärkt aus dem Krieg hervor. Das System, das auf der Währungs- und Finanzkonferenz in Bretton Woods 1944 aus der Taufe gehoben wurde, etablierte den Dollar als internationale Leitwährung und ließ die Verwirklichung des amerikanischen Ziels des freien Welthandels näher rücken. Für kurze Zeit schien es, als könnten die USA, gestützt auf das kollektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen, wieder zum business as usual übergehen. Aufgrund der inneren Dynamik, die der Weltkrieg in Gang gesetzt hatte, und wegen des wenig später beginnenden Kalten Kriegs gelang es aber nicht, den militärischen Apparat wieder abzubauen und die Konzentration der politischen Macht in der Exekutive zurückzunehmen. Unter »FDRs« Nachfolger Harry S. Truman trat das amerikanische Regierungssystem erst wirklich in die Phase der »imperialen Präsidentschaft« ein. Gleichzeitig hatte das Kriegserlebnis aber zu einer demokratischen Öffnung der Gesellschaft beigetragen, was sich vor allem im steigenden Selbstvertrauen der Frauen und der Afroamerikaner manifestierte.
 
 Die USA in den Fünfzigerjahren
 
Präsident Truman setzte die konsensorientierte Innenpolitik der Kriegszeit im Wesentlichen fort und meisterte — nicht zuletzt mithilfe des Marshallplans — den Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft. Zeitweise musste er gegen eine republikanische Mehrheit im Kongress regieren, die sich seinen als Fair Deal deklarierten kostspieligen Wirtschafts- und Sozialprogrammen widersetzte. Die Substanz der Reformen des New Deal blieb erhalten, wenngleich die Stellung der Gewerkschaften beschnitten wurde; Verbesserungen im Renten- und Bildungswesen sowie bei den Mindestlöhnen bauten den sozialen Schutz noch aus. Das Gefühl der Bedrohung durch die kommunistische Sowjetunion, das während der Berlinblockade und des Koreakriegs einen ersten Höhepunkt erreichte, förderte ebenso den Zusammenhalt und die Konformität der amerikanischen Gesellschaft wie der stürmische Wirtschaftsaufschwung, der sich bis in die Sechzigerjahre fortsetzte. Die 1929 jäh unterbrochene Entwicklung zur Konsum- und Wohlstandsgesellschaft beschleunigte sich nun wieder und die amerikanischen Geschäftsleute, Touristen und Medien trugen die Botschaft von den Vorzügen des amerikanischen Lebensstils in alle Welt. Andererseits wirkte der Kalte Krieg aber in bedrückender Weise auch nach innen, denn die Furcht vor kommunistischer Unterwanderung und Spionage schuf eine Atmosphäre des Misstrauens und erzeugte ein System der Gesinnungsschnüffelei und Meinungskontrolle, unter dem besonders Künstler und Intellektuelle zu leiden hatten. Bis 1954 hielt der demagogische Kreuzzug, den der junge republikanische Senator aus Wisconsin, Joseph R. McCarthy, gegen tatsächliche und vermeintliche Staatsfeinde entfachte, die ganze Nation in Atem. In diesem McCarthyismus manifestierte sich der Drang der Mittelklassegesellschaft, ihre eigenen Normen allgemein verbindlich zu machen und politisch-kulturelle Abweichungen vom akzeptierten Meinungsspektrum so gering wie möglich zu halten. Dieses Streben nach einer breiten, harmoniebetonten Übereinstimmung in den zentralen Fragen des politischen und sozialen Lebens kann man als die Kehrseite des liberalen Konsenses bezeichnen. Es gründete in dem gemeinsamen Erlebnis von Depression und Krieg, letztlich vielleicht sogar in weiter in die Vergangenheit zurückreichenden kollektiven Erfahrungen des amerikanischen Volkes.
 
Die Regierungszeit des populären Dwight D.»Ike« Eisenhower stand ganz im Zeichen von wirtschaftlichem Fortschritt, steigendem Lebensstandard und verbesserten Bildungschancen für die weiße Mittelschicht, speziell für die aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten. Die Landflucht und die Wanderungsbewegung vom Süden in die Industriezentren des Nordens und Westens hielten unvermindert an, was zu einem uferlosen Wachstum der Vorstädte und zur Entstehung von metropolitan areas mit vielen Millionen Einwohnern führte. Insgesamt nahm die Bevölkerung der USA zwischen 1945 und 1960 um rund 40 Millionen auf rund 180 Millionen zu, wozu in erster Linie der Babyboom bis Anfang der Sechzigerjahre beitrug. Gleichzeitig verdreifachte sich der Prozentsatz der jungen Amerikaner, die eine Hochschule besuchten, von 15 auf 45 Prozent. Wesentlich früher als in Europa gehörten Eigenheim, Auto, Waschmaschine, Fernseher, Telefon und Geschirrspüler zum Standard der Durchschnittsfamilie. Die Werbung entdeckte die Jugendlichen als Konsumenten, und es bildete sich eine Jugendkultur heraus, deren Idole Schauspieler und Sänger wie James Dean, Elvis Presley und Marilyn Monroe wurden und die bald auch Westeuropa erreichte. Der Begriff der Massenkultur verlor seinen negativen Beiklang, als Künstler wie Jaspar Johns, Andy Warhol und Roy Lichtenstein Motive des Alltagslebens aufgriffen und wie Ikonen zur Schau stellten.
 
Normen- und Wertewandel
 
Wie schon in den Zwanzigerjahren warnten Wissenschaftler und Intellektuelle vor sinnentleertem Materialismus, kultureller Nivellierung und Entfremdung in einer anonymen Massengesellschaft. Für die meisten Amerikaner wog der Zugewinn an persönlicher Autonomie und Entscheidungsfreiheit jedoch die Nachteile des reinen Konsumierens bei weitem auf. In Eisenhowers zweiter Amtszeit ab 1957 breitete sich allerdings das Gefühl der gesellschaftlichen Stagnation und Ideenlosigkeit immer mehr aus. Patriotismus und traditionelle Religiosität überdeckten die wachsenden Probleme und erschwerten eine kritische Standortbestimmung. Hinter der geruhsamen Fassade der Wohlstandsgesellschaft begann es zu rumoren, weil ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung von den Segnungen der Konsumkultur ausgeschlossen blieb, weil Frauen weiterhin als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, und weil die fortdauernde Rassendiskriminierung und Gettoisierung einen fast unerträglichen Kontrast zu den amerikanischen Idealen von Freiheit und Demokratie bildeten.
 
Allem Harmoniestreben und Konformitätsdruck zum Trotz hatte sich im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung seit dem Krieg ein tief greifender Normen- und Wertewandel vollzogen, der am sichtbarsten die Rassenbeziehungen und die Stellung der Frau veränderte. Ein erstes deutliches Zeichen setzte der Oberste Gerichtshof 1954 mit dem Urteil im Fall Brown gegen die Schulbehörde von Topeka, das die Rassentrennung im Bildungswesen als unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung aufhob. Die konservativen weißen Südstaatler leisteten zwar noch jahrelang hartnäckigen Widerstand, aber die rechtlich-moralische Grundlage für die Gleichstellung der Rassen war damit bereits geschaffen. Hierauf konnte die Bürgerrechtsbewegung aufbauen, die 1955 ihren ersten Sieg mit dem von Martin Luther King geleiteten Busboykott in Montgomery, Alabama, errang. Ähnlich verhielt es sich mit dem Kampf um die Gleichberechtigung der Frau, der noch nicht spektakulär geführt wurde, der sich aber in Form einer immer stärkeren Präsenz von Frauen im Erwerbsleben bereits deutlich abzeichnete. Mitreißende Zukunftsvisionen, nach denen gerade die jüngeren Amerikaner verlangten, waren von Eisenhower jedoch nicht mehr zu erwarten. Er hatte die Führungsposition der USA in der Welt verteidigt und gefestigt; die notwendige innere Erneuerung des Landes blieb seinen Nachfolgern vorbehalten.
 
 Die Ära Kennedy und Johnson
 
Im Wahlkampf von 1960 plädierte der jugendlich-dynamische John F. Kennedy für einen Aufbruch zu »neuen Grenzen«. Mit dieser an den zupackenden Pioniergeist der Vorfahren erinnernden Parole von der New Frontier traf er das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die sich aus der Lethargie und dem Immobilismus der Ära Eisenhower befreien wollte. Das Parteiprogramm der Demokraten versprach eine Ankurbelung der Wirtschaft, soziale Reformen und Fortschritte in der Rassenfrage. Schon in seiner Rede bei Amtsantritt am 20. Januar 1961 aber widmete sich Kennedy fast ausschließlich weltpolitischen Themen, und diese Schwerpunktsetzung behielt er in seiner kurzen, krisengeschüttelten Amtszeit bei. Selten war das Bewusstsein der nationalen Identität, der moralischen Überlegenheit der »freien Welt« und der Verantwortung für das Wohl der gesamten Menschheit so stark ausgeprägt wie in diesen Jahren der Berlin- und Kubakrisen. Mit John F. Kennedy und Jacqueline Bouvier »Jackie« Kennedy zogen auch moderne Kunst und Kultur ins Weiße Haus ein, und Washington wurde mit seinen Monumenten, Museen und Galerien zum symbolischen Zentrum der amerikanischen »Zivilreligion«. Auf innenpolitischem Gebiet tat die Regierung dagegen recht wenig, um die von ihr selbst geweckten hohen Erwartungen zu erfüllen. Die günstige Konjunktur überdeckte viele strukturelle Probleme, und in der Rassenfrage taktierte Kennedy sehr vorsichtig, da er die Unterstützung der Abgeordneten aus den Südstaaten im Kongress für seine Außenpolitik benötigte. Die Administration begnügte sich weitgehend damit, auf die anschwellende Bürgerrechtsbewegung zu reagieren und ihr mit einigen politischen Gesten entgegenzukommen. Erst im Sommer 1963 leitete Kennedy dem Kongress den Entwurf eines Gesetzes zu, das die Rassendiskriminierung in allen öffentlichen Einrichtungen verbot und der Bundesregierung weit reichende Vollmachten einräumte. Am 28. August 1963 veranstaltete die Bürgerrechtsbewegung einen »Marsch auf Washington«, an dem über 200000 Demonstranten teilnahmen und dessen Höhepunkt Kings bewegende Rede »Ich habe einen Traum« bildete. Daraufhin erklärte der Präsident im Fernsehen, die amerikanische Nation werde »nicht wirklich frei sein, bis alle ihre Bürger frei sind«. Als Kennedy am 22. November 1963 in Dallas ermordet wurde, hatte der Kongress das Bürgerrechtsgesetz aber immer noch nicht verabschiedet.
 
Liberale Innenpolitik
 
Der Texaner Lyndon B. Johnson, der unmittelbar nach dem Mordanschlag vereidigt wurde, machte sich die tiefe Betroffenheit der Amerikaner über den Tod ihres Präsidenten sowie den von den Medien geschaffenen Kennedy-Mythos geschickt zunutze, um das längst überfällige innenpolitische Reformprogramm durchzusetzen. Die Bürgerrechtsgesetze von 1964/65, die vor dem Hintergrund schwerer Unruhen im Süden, aber auch in den Gettos des Nordens zustande kamen, liquidierten in rechtlicher Hinsicht endlich das Erbe der Sklaverei, als das man die Rassentrennung und die politische Diskriminierung der Afroamerikaner bezeichnen kann. Der Druck von unten und die Entschlossenheit der Regierung hatten zusammengewirkt, um diesen Durchbruch zu erzielen. Der Erfolg beflügelte auch die organisierten Feministinnen und andere soziale Bewegungen. Der von liberalen Richtern dominierte Oberste Gerichtshof sah seine Hauptaufgabe jetzt darin, die in den ersten zehn Verfassungszusätzen garantierten individuellen Grundrechte in der Praxis durchzusetzen und die Lage der Minderheiten zu verbessern. Die Liberalisierung der Pornographiebestimmungen, die Freigabe von Verhütungsmitteln (und später der Abtreibung) sowie die Bekräftigung des Grundsatzes der strikten Trennung von Kirche und Staat erregten zwar Widerspruch in konservativen Kreisen, entsprachen aber ganz der vorherrschenden Stimmung. Den Gipfel der Ära des liberalen Konsenses markierte Johnsons Programm der Great Society, das auf der optimistischen Annahme basierte, die Regierung könne die Armut in den USA beseitigen und für soziale Gerechtigkeit sorgen. Nach Anfangserfolgen erwies sich dies rasch als eine Illusion, die unter den Belastungen des Vietnamkriegs und der immer radikaleren Protestbewegung Ende der Sechzigerjahre wie eine Seifenblase platzte. Die tiefe Ernüchterung, die durch die Ermordung Martin Luther Kings und des Senators Robert F. Kennedy 1968 noch dramatisch verschärft wurde, leitete einen politisch-kulturel- len Wandel ein, der Ende 1968 mit der Wahl des Republikaners Richard M. Nixon einen ersten sichtbaren Ausdruck fand.
 
 Die USA zwischen Nixon und Clinton
 
Richard Nixon präsentierte sich als Anwalt der schweigenden Mehrheit des amerikanischen Volkes, die Recht und Ordnung herbeisehnte und den von den Demokraten geschaffenen zentralistischen Regierungsapparat zurechtstutzen wollte. Die Wende gegen den Geist des New Deal vollzog sich aber zunächst eher in der Rhetorik als in der politischen Praxis. Der Vietnamkrieg beanspruchte die Aufmerksamkeit des Präsidenten und seiner Berater dermaßen, dass innere Reformen wie die unter der Parole New Federalism angekündigte Stärkung der Einzelstaaten im Sande verliefen. Tatsächlich nahmen Aufgaben und Umfang der Bundesbürokratie sogar noch zu. Anfangs schien es Nixon dennoch zu gelingen, die Lage zu stabilisieren. Mit der Vereinbarung eines Waffenstillstands in Vietnam und anderen außenpolitischen Erfolgen nahm er der Protestbewegung, die sich in viele Richtungen und Gruppen aufsplitterte, den Wind aus den Segeln. Nach der klaren Wiederwahl Nixons Ende 1972 stürzten die USA aber in ihre schwerste Krise seit dem Bürgerkrieg. Zunächst zeigte das Ölembargo der arabischen Staaten, das den Jom-Kippur-Krieg im Nahen Osten 1973 begleitete, den Amerikanern die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit auf. Dieser Ölschock beschleunigte den Strukturwandel, dem ganze Wirtschaftszweige zum Opfer fielen und der die Industriezentren des Nordens dadurch zum »Rostgürtel« herunterkommen ließ. Dann offenbarte die Watergate-Affäre den bedenkenlosen Machtmissbrauch des Präsidenten selbst, der im August 1974 mit seinem Rücktritt dem drohenden Amtsenthebungsverfahren zuvorkam. Im Jahr darauf traf der endgültige Fall Saigons die siegesgewohnte Nation ins Mark und löste ein regelrechtes Vietnamtrauma aus. Die Amtszeit des Nixon-Nachfolgers Gerald R. Ford bot zwar eine kurze Erholungsphase, in der auch der Kongress sein Mitsprache- und Kontrollrecht gegenüber der Exekutive wieder stärker durchsetzte. Jedoch mussten die Amerikaner unter dem Demokraten James E. »Jimmy« Carter, einem Außenseiter auf dem Washingtoner Parkett, der sich in seinem von Bescheidenheit und Ehrlichkeit geprägten Regierungs- und Repräsentationsstil bewusst von dem seiner Vorgänger absetzte, außenpolitisch neue schwere Schläge in Iran und Afghanistan sowie ein zweites Ölembargo einstecken. Konzeptionslosigkeit und das erfolglose Bemühen der Administration Carter, die wirtschaftlichen Probleme, allen voran die explodierenden Energiekosten und die galoppierende Inflation, in den Griff zu bekommen, kamen noch hinzu: Im Wahljahr 1980 schienen die USA auf einem historischen Tiefpunkt angelangt zu sein. Bemerkenswerterweise führte diese Kette von Demütigungen und Misserfolgen nicht zu einer Rückbesinnung auf die Werte des liberalen Konsenses, sondern festigte vielmehr den konservativen Trend. Dies wurde zur Gewissheit, als Carter bei den Wahlen im November 1980 dem ehemaligen Hollywoodschauspieler und republikanischen Gouverneur von Kalifornien, Ronald W. Reagan, recht deutlich unterlag.
 
Wiederkehr des Patriotismus
 
Als Iran die amerikanischen Geiseln nach 444-tägiger Haft just am Tag von Reagans Amtseinführung im Januar 1981 frei ließ, deutete sich an, dass der neue Präsident eine glückliche Hand haben würde. Tatsächlich schienen ihm die Erfolge zuzufallen, während Missgriffe wie der Einsatz amerikanischer Truppen während der Intervention in Libanon 1982/83 und die illegale Finanzierung der oppositionellen Contras in Nicaragua mithilfe von Waffenverkäufen an Iran (Iran-Contra-Affäre) schlechten Beratern angekreidet oder widrigen Umständen zugeschrieben wurden. Reagan beabsichtigte in erster Linie, das angeschlagene Selbstvertrauen der Amerikaner wiederherzustellen und die Nation aufzurichten. Das gelang ihm durch ein gewaltiges Rüstungsprogramm und Steuersenkungen, die hohe Haushaltsdefizite und Staatsschulden verursachten, aber die Konjunktur ankurbelten und die Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückbrachten (Reaganomics). Früher als andere westliche Länder meisterten die USA den Umbruch zur Dienstleistungs- und Hochtechnologiegesellschaft. Neue Wachstumszonen wurden der »Sonnengürtel« von Atlanta über Dallas nach San Diego sowie die Pazifikküste.
 
Im Medienzeitalter kamen Reagan seine Fähigkeiten als »großer Kommunikator« zugute: Mit einer Mischung aus scharfer antikommunistischer Rhetorik, patriotischen Appellen und charmanter Vertraulichkeit eroberte Reagan die Herzen vieler Landsleute. Dabei wurde nie recht klar, inwieweit ihn politische Hintermänner nur als Galeonsfigur benutzten. Hierzu gehörten Intellektuelle, die konservatives Gedankengut wieder salonfähig machen wollten und die Meinungsführerschaft des liberalen »Establishments« bestritten; fundamentalistische Christen auf dem rechten Flügel der Republikaner, die alle Übel der modernen Gesellschaft und speziell die Abtreibung auf den Liberalismus zurückführten; und neoliberale Ökonomen, die staatliche Interventionen in die Wirtschaft ablehnten, Sozialprogramme als Ballast betrachteten, die Macht der Gewerkschaften brechen wollten und für Deregulierung und Privatisierung eintraten. Allen diesen Kräften gemeinsam war die grundsätzliche Kritik am liberalen Modell des Sozialstaats, das Denken und Handeln der meisten Politiker und Bürger seit dem New Deal beherrscht hatte. Sie drängten die Anhänger des liberalen Status quo in die Defensive und erreichten eine tief greifende Veränderung des kulturellen Klimas in den USA. Zwischen den polarisierten Lagern von Liberalen und Konservativen suchten neue Parteien und Bewegungen wie die Umweltschützer und die Kommunitaristen nach einem dritten Weg aus der Sinnkrise des späten 20. Jahrhunderts.
 
Nachdem es in Reagans zweiter Amtszeit zu einer überraschenden Entspannung mit Moskau gekommen war und unter seinem Nachfolger GeorgeH. Bush der Ost-West-Konflikt mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa und der Auflösung der Sowjetunion endete, untermauerten die USA ihren Führungsanspruch in der neuen Weltordnung, indem sie 1991 eine große Allianz gegen den irakischen Diktator Saddam Husain anführten. Der Sieg im Golfkrieg gab dem Patriotismus in den USA wieder mächtig Auftrieb und verbannte das Vietnamtrauma endgültig aus dem kollektiven Bewusstsein der Nation. Da die amerikanische Wirtschaft jedoch eine schwere Rezession durchmachte, verblassten die außenpolitischen Erfolge rasch, und Bush musste sich bei den Präsidentschaftswahlen im November 1992 seinem jungen demokratischen Herausforderer William J. »Bill« Clinton, dem Gouverneur von Arkansas, geschlagen geben.
 
Wohlstand und Skandale — Die Präsidentschaft Clintons
 
Clinton profitierte davon, dass 1993 ein lang anhaltender Aufschwung einsetzte, ausgelöst von der Entwicklung neuer Technologien im Kommunikations- und Medienbereich, mit denen die USA den Weltmarkt eroberten. In den Neunzigerjahren entstanden vor allem im Dienstleistungssektor mehrere Millionen neuer Arbeitsplätze. Die von der Regierung geplante umfassende Gesundheitsreform fiel jedoch dem allgemeinen konservativen Klima zum Opfer. Die erdrutschartigen Gewinne der Republikaner bei den Kongresswahlen 1994 brachten den Präsidenten zwar in Bedrängnis, durch außenpolitische Erfolge konnte er sich aber 1996 die Wiederwahl gegen den farblosen republikanischen Senator Robert J. Dole sichern.
 
Clintons zweite Amtszeit stand ganz im Zeichen der Lewinsky-Affäre, in der der Präsident im August 1998 unter dem Druck des vom Kongress eingesetzten Sonderermittlers Kenneth Starr eine »unangemessene und unschickliche« Beziehung zu der ehemaligen Praktikantin im Weißen Haus, Monica Lewinsky, zugeben musste, die gehabt zu haben er bis dahin bestritten hatte. Gegen den Willen der Mehrheit der Amerikaner setzten die Republikaner im Kongress eine Amtsanklage wegen Meineids und Behinderung der Justiz durch. Das Amtsenthebungsverfahren vor dem Senat endete jedoch Mitte Februar 1999 mit einem Freispruch; selbst mehrere republikanische Senatoren werteten Clintons Fehltritt nicht als Verbrechen oder Vergehen im Sinne der Verfassung. Am Ende standen die radikalen Gegner Clintons als Verlierer da, aber die moralische Autorität des Präsidenten hatte dennoch gelitten.
 
Der guten Wirtschaftslage konnten weder der innenpolitische Streit noch die Finanzkrise in Asien etwas anhaben. Obwohl sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnete, herrschten angesichts Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Börsenboom Zufriedenheit und Optimismus vor. Früher als geplant konnte die Regierung den Bundeshaushalt ausgleichen, und ab 1999 erwartet man sogar Überschüsse, mit denen das Sozialsystem saniert werden soll. Da die USA auch außenpolitisch als einzige Supermacht unangefochten sind, gehen die Amerikaner mit großem Selbstbewusstsein ins 21. Jahrhundert.
 
Unterdessen hat die neue Masseneinwanderung das Erscheinungsbild der amerikanischen Bevölkerung deutlich verändert. Während der Zustrom aus Europa fast ganz versiegte, erhöhten Immigrationswellen aus Lateinamerika, der Karibik und Asien die ethnische und religiöse Vielfalt beträchtlich. Laut Volkszählung von 1990 machten die Hispanics schon 9 Prozent, die Asian Americans 3 Prozent der Gesamtbevölkerung von etwa 250 Millionen aus. Da auch der schwarze Bevölkerungsteil (1990: 10 Prozent) schneller wächst als der weiße, sagen Demographen voraus, dass diese Minderheitengruppen um die Mitte des nächsten Jahrhunderts gemeinsam die Bevölkerungsmehrheit bilden werden. Die erste moderne Zivilgesellschaft der Welt scheint also im Begriff zu sein, auch die erste »postmoderne«, multikulturelle Gesellschaft zu werden. Ob es gelingen wird, diese zunehmend heterogene Einwohnerschaft weiterhin auf gemeinsame Werte und die Prinzipien der Verfassung zu verpflichten, kann nur die Zukunft erweisen.
 
Prof. Dr. Jürgen Heideking, Köln
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Roosevelt: New Deal
 
 
The enduring vision. A history of the American people, herausgegeben von Paul S. Boyer u. a. Lexington, Massachusetts, 31996.
 Kissinger, Henry A.: Memoiren 1973-1974. Aus dem Amerikanischen von Hans-Jürgen Baron von Koskull, 3 Teile, Taschenbuchausgabe München 1982.
 
The national experience. A history of the United States, Beiträge von John M. Blum u. a. Fort Worth, Texas, u. a. 81993.
 
Public papers of the presidents of the United States. Ronald Reagan, Band 11: January 1 to July 3, 1987. Washington, D. C., 1989.

Universal-Lexikon. 2012.

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